14. KULTURKAMPF IN TABEN 1873                                                             

 Joseph Liell: Aus der Pfarrchronik von Taben der Jahre 1873 und 1874[1]

Text 1 

Am 2. Oktober [1873][2] wird Matthias Föhr zum Pfarrer von Taben ernannt. Derselbe ist geboren zu Heiligkreuz bei Trier am 5. Juli 1844. Nachdem er sein Studium am Gymnasium und im Priesterseminar zu Trier beendigt hatte, wurde er am 28. August 1869 zum Priester geweiht; er wirkte sodann als Kaplan in Daun und in Neunkirchen (Kreis Ottweiler)[3].

Bei der Ernennung des Herrn Matthias Föhr zum Pastor von Taben hatte der  Hochwürdige Herr Bischof  Matthias Eberhardt, wie das selbstverständlich ist, die Bestimmungen der Maigesetze außer Acht gelassen; (die im Gesetze vom 11. Mai 1873 geforderte Vorbildung § 4 besaß Föhr nicht; auch die im §15 geforderte Anzeige beim Oberpräsidenten war nicht erstattet worden). Grund genug, dass sowohl der Bischof wie auch der Pastor und nicht minder die an diesen „Gesetzes“verletzungen ganz unschuldige Gemeinde die ganze Härte des „Gesetzes“ fühlen mussten.

  1. Wie lauten die Bestimmungen der Maigesetze von 1873? (Nimm dein Geschichtslehrbuch zu Hilfe!)

  2.  Gegen welche Bestimmungen wurde bei der Ernennung des Pastor Föhr verstoßen?

Text 2

Am 18. Oktober kam Pastor Föhr nach Taben und am Sonntagmorgen, dem 19. Oktober,  wurde er in [einer] Prozession in die Kirche und in sein Amt eingeführt. (Die sonst [...][4] üblichen Festlichkeiten unterblieben mit Rücksicht auf die traurigen Zeitverhältnisse. Denn Jedermann sagte sich, wenn unser Pastor seines Amtes nach Pflicht und Gewissen waltet, dann stehen ihm harte Zeiten bevor. Doch diese zarte Rücksichtnahme sollte bald übel gedeutet werden. Einige Tage nach dem 19. Oktober erschien nämlich in der Saarlouiser Zeitung  ein Artikel, welcher über den Einzug des Pastor Föhr in Taben berichtete, worin gesagt wurde, die Tabener hätten den Pastor sehr kühl aufgenommen; keine der sonst üblichen Festlichkeiten hätten stattgefunden, es schien, als sei  ihnen der Pastor nicht genehm, da er ohne staatliche Genehmigung gekommen sei. Wie dieser Artikel Lügen gestraft wurde, hat sich alsbald gezeigt.)

Pastor Föhr hat die Seelsorge in Taben im ganzen Umfange  ausgeübt und so die Veranlassung zu den nun folgenden Strafen gegeben.

Am 2. Dezember erschien im Pfarrhause zu Taben der Landrat Tobias von Saarburg in Begleitung des Bürgermeisters Emmerich von Freudenburg und eröffnete dem Pastor Föhr, dass er von der königlichen Staatsregierung beauftragt sei, ihm mitzuteilen, dass er aufgrund des Gesetzes  vom 11. Mai 1873 § 17 „gesperrt“ sei, d.h. dass ihm jede Amtshandlung verboten sei, da er von der Regierung  als rechtmäßig nicht anerkannt wurde.

Der Lehrer Spanier erhielt von Seiten der Regierung die Anweisung, er habe sich in Zukunft jeder Ausübung des Küstersamtes zu enthalten, wenn Pastor Föhr amtiere. Da fragt man sich mit Recht, wer gibt der Regierung das Recht,  den Küster seiner Pflichten gegenüber der Kirche zu entbinden? Aber die preußische Staatsregierung konnte  derartige Gewaltstreiche wagen, weil sie die Lehrer kannte. Der Lehrer Spanier hat diese Weisung  „gewissenhaft“ befolgt! 

Am 22. Dezember wurde Pastor Föhr wegen unbefugter Wahrnehmung  geistlicher Amtshandlungen  zu 42 M. oder 3 Tagen Gefängnis verurteilt am Amtsgericht zu Saarburg. (Zeuge war der Feldhüter und Polizeidiener Joseph Schwickerath von Rodt).

Am 26. Januar wird Pastor Föhr wiederum zu 30 M. oder zwei Tagen Gefängnis verurteilt.

Am 6. März wird Pastor Föhr zu 300 M. oder ein Monat Gefängnis verurteilt; das höhere Strafmaß erklärt sich daraus, dass er es gewagt hat, auch nach der Sperre Amtshandlungen vorgenommen zu haben. §24 Gesetz 11. Mai 1873.

Im Pfarrhaus zu Taben findet eine Pfändung statt für die am 22. Dezember zudiktierte Strafe von 42 M. Pastor Föhr hatte in Voraussicht der Dinge, die da kommen sollten, keine Möbel etc. mitgebracht; Tisch, Stuhl und Bett hatte er sich geliehen; so blieb die Pfändung ohne Erfolg.

Am 18. März wird [der] Pastor durch Gendarm Brandenburg verhaftet und über Freudenburg nach Trier zur Verbüßung von drei Tagen Gefängnis abgeführt. Urteil vom 22. Dez. 1873.

 Am  22. März  wird Pastor Föhr aus dem Gefängnis entlassen und er fährt mit der Bahn bis Beurig. Johann Düro von Saarhausen und Joseph Neuses aus Taben fahren mit ihrem Wagen nach Beurig und nachdem der Pastor eingestiegen, ging`s durch Saarburg nach Freudenburg, wo sie vom Volk mit begeisterten Zurufen empfangen werden. Nachdem man sich im Pfarrhause bei Pastor Both gestärkt, ging`s  nach Rodt. Als der Wagen sich Rodt näherte, beleuchtete man alle Häuser, die Glocke in der Rodter Kapelle läutete, und alle Leute begrüßten den heimkehrenden Pastor. (Der Polizeidiener Schwickerath will in die Kapelle eindringen, um das Läuten zu verhindern; da wird er mit einem Stein beworfen. Es wurden nun Joseph Massem, Johann Dühr, Peter Dühr, Matthias Dühr, Johann Düro und Jos. Neuses wegen Auflauf protokolliert.)

Da Pastor Föhr sich in Trier aufhält, wird er verhaftet zu einer Gefängnisstrafe von 2 Tagen, Urteil vom 26. Jan. Als er diese Strafe abgesessen hatte und mit der Bahn nach Beurig kam, wurde er  noch nachts von Johann Düro und Josef Neuses  mit  Wagen heimgeführt; beim Einzug in Rodt nochmals Beleuchtung. Mehrere werden wegen der Beleuchtung protokolliert, aber frei gesprochen. (Polizeidiener Schwickerath wohnt bei Dühr. [...] 

Weil Dühr dem Schwickerath Obdach gab, wurde ihm der Pflug zerschlagen und die Fenster eingeworfen. Da die Täter nicht zu ermitteln waren, musste die Gemeinde den Schaden ersetzen.)

Am 14. April wird Pastor Föhr  zu 300 M. oder zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt. Am 24. April am Bannfreitag (d.i. am Freitag nach dem 3. Sonntag nach Ostern) hält Pastor Föhr das Hochamt. Als die Leute nach dem Amte aus der Kirche kamen, fanden sie auf dem Scheunentor [bei] P. Niesen folgende Inschrift angeschlagen:

            „O (Schwickerath) du falscher Held,
           
Für dich ist es  hier gar schlecht bestellt,  
           
Und wenn du wütest noch so sehr,     
           
Hier pflückst du keine Lorbeeren mehr.        
           
Nimm wieder Ell` und Scher` zur Hand           
           
Und wandre in ein anderes Land.“

Auf diese Weise machte sich der allgemeine Unmut  der Bevölkerung Luft,  (weil Schwickerath regelmäßig zur Kirche ging, um sich zu vergewissern, ob Pastor Föhr Dienst halte, um ihn dann anzeigen zu können.) Wer das Gedicht angeschlagen hat, ist nicht bekannt geworden. Am 2. Juni [wird] Pastor Föhr verhaftet, um 1 Monat lang über das Urteil  vom 6. März im Gefängnis nachdenken zu können.

Am 19. Juni wurden die am  22. März protokollierten Männer vor Gericht gestellt: Urteil  Johann Düro, Jos. Neuses und Matthias Dühr werden frei gesprochen, die übrigen erhalten 7 Tage Gefängnis und die Kosten zu bezahlen; Pastor Föhr wird als „Anstifter“ des Auflaufes zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt.  (In dieser Verhandlung trat Polizeidiener Schwickerath als Hauptzeuge auf; der Bürgermeister Emmerich von Freudenburg hatte ihm das Zeugnis ausgestellt, dass er der vortrefflichste Beamte des Bezirkes sei!)

 Am 2. Juli wurde  Pastor Föhr  aus dem Gefängnis vor Gericht geführt und zu 300 M. oder 3 Monate Gefängnis verurteilt. An seiner am Abend erfolgten Entlassung wurde ihm mitgeteilt, dass er auf einen Monat im Amtgefängnis zu Saarburg inhaftiert werde, wenn nochmals Verletzungen des „Gesetzes“ vorkämen. Pastor Föhr kam nach Taben und wohnte bis Mitte Juli im Pfarrhaus, dann aber siedelte er in das Haus der Caroline Neuses über, um sich so besser vor den Nachforschungen (des Schwickerath) verbergen zu können. Er nahm alle Amtshandlungen vor; nahte sich (der Schwickerath), so flüchtete er über die Kirchhofsmauer und verbarg sich im Heuschober bei Caroline Neuses. Eines Tages hielt er Gottesdienst, (Schwickerath) kam  in die Kirche, um sich dessen zu vergewissern. Als (Sch) aus der Kirche kam, sagte Jos. Neuses in aller Entrüstung zu ihm: „Hüt` die Hecken, da hast du Arbeit, du brauchst unseren Pastor  nicht zu hüten.“ (Schwickerath) stellte  wegen Beleidigung im Amte! Anzeige; da jedoch der einzige Zeuge,  die Frau Marg. Massem geb. Wenzel, das Zeugnis verweigerte, blieb die Sache ohne weitere Folgen.

Am 6. August machte Pastor Föhr in Saarhausen Besuch, um nicht erkannt zu werden,  verkleidete er sich als Reisender -  halber Rock und Hose und weißer Strohhut - da er zur Tür hereinging, wurde er von einem Eisenbahnbeamten gesehen und erkannt. Pastor Föhr ging direkt auf den 2. Stock. Alsbald nahm der Eisenbahnbeamte ein Blatt und schrieb darauf: „Lassen Sie doch Ihren Pastor nicht zu lange warten!“ und schob das Blatt dem Herrn Franz Massem hin, da war es Zeit, alsbald wieder zu verschwinden. Vom 6. August ist die Verordnung  notiert, dass das Pfarrvermögen mit Beschlag belegt ist [...]

Am 11. August wurde Pastor Föhr  durch zwei Gendarmen verhaftet und nach Saarburg transportiert. Da [...]  anzunehmen war, dass er so bald nicht mehr nach Taben zurückkehren würde, so hat er das Allerheiligste in der Kirche entfernt und die ewige Lampe ausgelöscht. - Am 19. August wurde er dann nach Trier geschleppt, wo er bis zum 2. November eingesperrt bleiben sollte. Am 22. Oktober wird Pastor Föhr zu 300 M. oder 3 Monaten und 10 Tagen verurteilt.

  1. Welche Position nimmt die Tabener Bevölkerung im Streit zwischen staatlicher Seite und kirchlicher Seite ein ?

  2.  Arbeite die Maßnahmen und Gegenmaßnahmen beider Seiten heraus, die den Streit weiter verschärfen!

Text 3

Am 2. November wird Pastor Föhr aus dem Gefängnis entlassen, jedoch von dem Fußgendarm Bismarck in Empfang genommen, zur Bahn geführt, denn er war aus der Diözese Trier ausgewiesen worden und sollte in Schmittheim, Diözese Köln, entlassen werden. Das war der „kürzeste“ Weg, um aus der Diözese Trier herauszukommen.  Die am 22. Oktober verhängte Strafe brauchte er so nicht abzubüßen Er schüttelte alsbald den Staub seines geliebten preußischen Vaterlandes von den Füßen und ging nach der Diözese Speyer in der Rheinpfalz, wo er, der Pfarrer, eine Stelle als Kaplan übernehmen musste. [5]

  1. Wie wird der Streit zwischen Kirche und Staat am Beispiel des Pfarrers Föhr „gelöst“ ?

  2. Der Verfasser des Berichts ist selbst Pfarrer. Bei aller Sachlichkeit gelingt es Pfarrer Liell nicht immer, seine eigene Meinung herauszuhalten. Nenne Beispiele im gesamten Text, in denen die subjektive Seite des Verfassers deutlich wird !

[1] Joseph Liell, der Verfasser der Pfarrchronik von Taben  (713 - 1898),  war Pfarrer in Taben von 1898 -1907. Er war als Student  zur  Zeit des Kulturkampfes in Bernkastel zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Vgl. auch: Unterrichtsmaterialien zur Geschichte der Stadt Bernkastel-Kues; in: Pädagogisches Zentrum, Schrift-Nr. 22/93, S. 49!
[2] Zusätze in eckigen Klammern enthält der Originaltext nicht; sie dienen dem Textverständnis.
[3] Runde Klammer, Absätze, Schreibung in Anführungsstrichen sind originalgetreu übernommen; die Rechtschreibung wurde vorsichtig  modernisiert: "Köln" statt "Cöln", "Gefängnis" statt "Gefängniss", "protokolliert" statt "protokollirt"; die Interpunktion wurde nur in Zweifelsfällen angepasst.
[4] [...] Auslassung unwesentlicher Textteile 
[5]  Bis zum 15. Oktober 1877 ist der Pastor Föhr Kaplan in Weselberg, Diözese Speyer, Bezirksamt Pirmasens. Am 16. Oktober wird er zum Kaplan von Rheinheim, Diözese Speyer, Bezirksamt Zweibrücken ernannt. In der Fremde hat er die Aufnahme, die man erwarten sollte, nicht gefunden. Am 14. Februar 1884 durfte er endlich wieder in seine Heimat zurückkehren und übernahm als „Hilfsgeistlicher“ die Pfarrei Bruttig an der Mosel, wo er dann am 7. August 1888 als „Pfarrer“  kanonisch eingeführt wurde.  Die reichen Einkünfte seiner Pfarrei entschädigten ihn in etwa für die früher erlittenen Entbehrungen.