21. der kreis Saarburg in der Besatzungszeit 1918 - 1930                         

Text 1

Kreis Saarburg

Waffenstillstand! - Der Krieg ist zu Ende! Rückwärts fluten die deutschen Truppen!
Am Samstag, dem 23. November, zieht die letzte Abteilung über die Saarbrücke: Infanterieregiment 130, die Sanitätskolonne der 33. Infanterie-Division, zuletzt das Pferdelazarett, als letzter Wagen ein offener Planwagen mit einem kranken Pferd!
Was jetzt? 9 Tage bangen Erwartens - dann kommen sie! Sie, die durch ihr Kriegsmaterial das Schicksal gegen uns entschieden, Deutschlands  Erdrückung besiegelten!
Am ersten Samstagnachmittag im Dezember erscheint ein amerikanischer Offizier im Auto in Saarburg. Er wird im Gasthof zur Post einquartiert. Am Sonntag ½ 10 Uhr kommt ein Lieferauto mit Mannschaften. Dann folgt Kolonne auf Kolonne - tagelang - durch Saarburg, Beurig, Irsch nach Zerf, über Ayl nach Trier.
Die vorgelegten Quartierlisten des Landratsamts lehnt man mißtrauisch ab, quartiert sich selber ein. Vom 20. Dez. 1918 bis 9. Mai 1919 liegt das Infanterie-Regiment 355 in Saarburg und Beurig im Quartier.
Einquartierung! Jetzt kommen nicht mehr deutsche Brüder im feldgrauen Waffenrock, jetzt kommen fremde Kriegsleute! Amerikaner, Söhne aller Rassen! Und dazwischen, zum Schrecken der Menschen und - der Hühner - auf den Dorfstraßen, gelegentlich auch einmal Marokkaner!
Nur einige Orte des Kreises wurden dauernd mit Einquartierung belegt: Saarburg, Beurig (Inf.-Rgt.355), Besch, Nennig, Nittel, Wincheringen, Weiten und Hentern. Die ungebetenen Gäste machten es sich bequem und begannen zu regieren, nach Soldatenart! Jeder männliche Deutsche über 12 Jahre mußte sein Bett hergeben. Bürgermeister und Ortsvorsteher mußten in den nicht belegten Orten requirieren, damit die geforderten 833 Betten zusammenkamen. Manch ehrwürdiges Möbel wanderte als Bett aus den Dörfern und vergaß die Heimkehr. Hinzu kamen die leidigen Paßvorschriften, die jeden Verkehr hemmten: Wer nach Saarlouis wollte, mußte sich in Kyllburg die Erlaubnis holen!
Anfangs war der Verkehr zwischen Besatzung und Bevölkerung durch das Oberkommando sehr eingeschränkt. Als man sich kennen lernt, lernte man sich vertragen, und manchem amerikanischen Naturkinde, das gegen seinen Willen "in the war" gegen die "Barbaren" gezogen war, mag beim Vergleich das tatsächlich gefallene Wort entschlüpft sein: "Ich meine, wir hätten den Verkehrten verhauen!"

  1. Welche Charakterisierung der Sieger wird sichtbar?

  2. Wie würdest du das Selbstverständnis der besiegten Deutschen beschreiben?

  3. Welche Ursache für die deutsche Niederlage wird hier angegeben? Wenn Sie zutrifft: über welche Fragen und Schlussfolgerungen kann man dann diskutieren?

Text 2

Die Franzosen kommen

Am 7. Mai zog Amerika ab und Saarburg bekam einen französischen Kreisdeputierten mit Zubehör; es begann die zweite Periode der Besatzung - die französische! Ihr Höhepunkt heißt Ruhrkrieg, Ausweisung, Inflation. Aus der Fülle der Ereignisse jener drangvollen Tage, in denen niemand wußte, ob er am folgenden Abend nicht vor Limburg oder Weilburg stand, nur einige der stärksten Erinnerungen:
Am 7. Januar 1923 besetzten Marokkaner die Bahn "zur Sicherung des Einmarsches in das Ruhrgebiet". Dann bezogen Truppen eines Eisenbahnerregiments Standquartier.

Der passive Widerstand

 Am 27. Januar schlossen dich die Beamten Saarburgs den Erklärungen der Trierer Behörden vorbehaltlos an. Sie "halten es unter Berufung auf ihren Diensteid für selbstverständlich, daß sie in Konfliktsfällen nur den Anordnungen der deutschen Regierung Folge leisten werden". Es gärt! Schmunzelnd und mit stillem Behagen hört Saarburg, wie am 27. Januar ein gefürchteter französischer Dolmetscher mit echt deutschem Namen sein Licht in den Wirtschaften leuchten läßt, Pässe fordert, und dafür im stillen Winkel von dem berühmten "Unbekannten aus Saarhölzbach" bar ausbezahlt wird. -
Am 6. Februar stellen die deutschen Eisenbahner den Betrieb ein. Post- und Lastautos suchen den nötigsten Verkehr, besonders nach Trier, zu besorgen. Die französische Regie eröffnet den Bahnbetrieb. Es folgen die Schrecken der Ausweisung. Die Männer müssen meist innerhalb ¼ - ½ Stunde am Bahnhof stehen; Frauen und Kinder folgen am vierten Tage. Der erste Ausgewiesene war der staatliche Forstmeister (8.2.); als zweiter folgte bald nachher der Landrat. Am 26. April verhängte der Delegierte der "Hohen interalliierten Kommission" in Trier wegen zwei "Sabotageversuchen" an der Eisenbahn bei Serrig und Schoden-Ockfen über diese Gemeinden den Belagerungszustand. Vom 29. April bis zum 6. Mai war jeder Verkehr von 8 Uhr abends bis 6 Uhr morgens untersagt. Die Bürgermeister wurden aufgefordert, "pflichtgemäß die Bevölkerung vor Wiederholung der Attentate auf die Schienenwege zu warnen", andernfalls erfolgten "strenge Sanktionen".
Ende April mußten in Beurig 10 Eisenbahnerfamilien die Dienstwohnung räumen.
Am 1. Mai wurde das Postauto nach Trier verboten, den Privatautos untersagt, Fremde mitzunehmen, "damit die Straßen nicht zu sehr belastet und verdorben würden". Man wollte die Bevölkerung zur Benutzung der Regiebahn zwingen. Sie ging fortan zu Fuß.
Am 12. Mai erfolgte die Ausweisung der Zollbeamten in Saarburg. (Die Familien folgten nach vier Tagen.)
Am 8. Juni schoß ein Marokkaner einen harmlosen Junggesellen aus Beurig, Nik. Weber, der mit einer Bürde Futter auf dem Pfad längs der Eisenbahn von Serrig her kam, mit drei Schüssen nieder. Sie schleiften den Ärmsten bis zum Bahnhof, man brachte ihn von dort auf einer Tragbahre zum Krankenhaus. Sechs Mann mit aufgepflanztem Bajonett begleiteten die Tragbahre mit dem "Saboteur". Der Ärmste starb; über die Gemeinde Beurig wurde wegen des "Sabotageversuches" auf zehn Tage der Belagerungszustand verhängt. Die Erregung war ungeheuer ob dieser "Justiz". Man biß auf die Zähne. Mehrere Tausend Menschen folgten am 17. Juni dem Sarge in Ingrimm, in stummen und doch beredten Protest!
Am 14. Juni wurden die Gemeinden aufgefordert, selbst den Schutz der Bahn zu übernehmen. Man sträubte und weigerte sich, solange es ging. Vorsteher und Gemeinderäte wanderten nach Trier ins Militärgefängnis. Besonders Beurig wurde hart gequält wegen seiner Unnachgiebigkeit. Man drohte sogar mit Verhaftung der ganzen Männerwelt. Es folgten die gefürchteten Massenausweisungen der Beamten, besonders der Eisenbahner vom 30. Juni und 21. Juli. Berittene Spahis sprengten in der Frühe durch Saarburg und Beurig und besetzten die Stadt- und Dorfausgänge. Französische Gendarmen verkündigten in den Wohnungen den Männern die Ausweisung, den Abtransport im Laufe des Tages. Die Familien mußten nach vier Tagen folgen. Junge Leute waren schon auf eigene Gefahr über den Rhein geflüchtet.
Erschütternd und unvergeßlich waren die Szenen auf den Bahnhöfen. Mit grimmem Trotz zogen die Männer fort, Sorge für Familie im Herzen. Aber wenn die Frauen Abschied nahmen vom Heim, in dem vielleicht schon nach einer halben Stunde andere es sich bequem machten, wenn sie mit ihrem Bündel auf dem Bahnhof erschienen, umdrängt von den angstvoll fragenden Kleinen, dann gab's Tränen des Wehs und des Ingrimms.
"Was wollen Sie denn mit den Kindern da - die können hier bleiben", so fährt ein französicher Gendarm eine Mutter an, die zwei Kleine im Korb heranschleppt zum Eisenbahnzug. Und die Antwort der deutschen Mutter: "Mä, seid Ihr da gäckisch! Eech losse geweß mein Kenner hei! Wu eech hingiehn, do giehn och mein Kenner hin!" So wanderten aus dem kleinen Beurig am 30. Juni 19 Männer, meist Familienväter, über den Rhein, am 21. Juli 27 Familienväter und 21 Junggesellen.
Der Kampf um die Stellung der Bahnwache wurde mit erbitterter Schärfe geführt. Er führte aus Beurig und Saarburg nicht weniger als 118 Beamten und Angestellte in die Verbannung ohne die Familienmitglieder. In den Transportzügen fehlte am Wagen oft der Abort, aber der schwarze Soldat als "Schutzengel" fehlte nicht im Abteil. Ganz Mitteldeutschland, besonders der Harz, wimmelte von Vertriebenen.

  1. Kleinliche Schikanen im Dienst der großen Politik zähle die Schikanen auf! Warum werden sie sorgfältig registriert?

  2. Zur großen Politik: auch Frankreich muss bezahlen und leitet die Reparationsgelder weiter an das Gläubigerland USA. Weise nach, welche schicksalhafte Bedeutung die amerikanische Finanzpolitik (und damit Wirtschafts- und Kriegspolitik) im 20. Jahrhundert für Deutschland hatte! Vgl. auch T 1 Frage 3!

Text 3 a

Die Separatistenzeit

 Und dann hörten die armen Verbannten traurige Kunde von neuer Prüfung und neuem Leid in der Heimat.
Am Morgen des 21. Oktober war auch der Kreis Saarburg beglückt mit der Verkündigung der "Rheinischen Republik", war die grüne Fahne gehißt, das Landratsamt besetzt; noch zeugt die Türe zur Kreissparkasse von den uneigennützigen Absichten der Sendlinge der neuen Republik. - Die "Vögel" waren ausgeflogen; dafür sperrte man die Kassenbeamten ein, soweit sie nicht im sicheren Verstecke saßen. Am folgenden Tag stehen die Verteidiger des neuen Staates auf der Saarbrücke, an den Ausgängen der Stadt - junge Burschen, bewaffnet mit Gewehr und Revolver - vor wem? - "Paß vorzeigen!"
Die  Beamten des Landratsamtes und Kreisausschusses lehnen ein Zusammenarbeiten mit den Separatisten ab. Die angeschlagenen Aufrufe zum Dienstantritt bei Androhung der Entlassung versagen ihr Wirkung.
Am 25. Oktober erreicht ein Beamtenausschuß die Räumung der  Geschäftszimmer durch die Separatisten und die ungestörte Wiederaufnahme des Dienstes.
Vom 26. Oktober ab übernimmt der Kreisdeputierte die Geschäfte der Kommunalverwaltung, der Kreissekretär die Verwaltung der staatlichen Abteilung des Landratsamtes. Der Kreisobersekretär war bereits über den Rhein gegangen.
Am Sonntagnachmittag (28. Oktober) rückten 30 Spahis in Saarburg ein - wem zum Schutz? Die Bevölkerung mit gesundem, deutschem Sinn zeigt kein Verständnis für die neu importierte Freiheit. Sie würde lachen über den Husarenritt einer Handvoll gesinnungstüchtiger Männer auf dem Gau, wenn die Sache nicht verteufelt ernst wäre.
Kreis  Saarburg, stolz auf deinen Kurfürstenwald, den Kammerforst, mit seinen ehrwürdigen Eichen, unter denen noch die alten kurtrierischen Landesherren jagten, unter denenTausende sich ergingen und ergötzten - wenige Wochen, und die Sägen und Äxte von 200 Holzfällern haben unter Kommando der Franzosen aus einem ragenden Wald von Riesen ein großes Leichenfeld gemacht!
Und doch!
Die separatistische Bewegung, künstlich erzeugt und gehegt, bricht zusammen. Der Herr "Polizeiinspektor" , ein Zöllner von der Mosel, und der Herr "Landrat", ein Bauer vom Gau, verduften - niemand will's gewesen sein!...
Und dann kommen sie langsam wieder, Landrat und andere Beamte, Eisenbahner. Erst nach erteilter Erlaubnis dürfen sie den Dienst aufnehmen. Die Zahlen sind beredt: Im Kreise Saarburg verhängten die franz. Besatzungsgerichte, soweit die örtlichen deutschen Behörden Kenntnis erhielten, während der Besatzung Strafen in 87 Fällen. Zusammengezogen betrugen diese Strafen: 45 235 500 Papiermark, 575 Goldmark, 36 040 franz.  Franken, 23 Jahre 5 Monate 29 Tage Gefängnis.
Köln wird frei - und heute - auch wir!
Bleibst du noch, Saargebiet! deutsches! - Einen Saarstaat wollte man dich taufen. Du hast's ihnen zugerufen unzähligmal, zumal bei der Jahrtausendfeier, daß "deutsch die Saar, jetzt und immerdar!"

(aus: Trier und das  Trierer Land in der Besatzungszeit. Trier (Paulinus) 1930, S. 153-155)

Text 3 b

Auch in Saarburg kam es nach Ausweisung der Behörden und zahlreicher Kasinomitglieder zu einem Putsch, der glücklicherweise infolge der ruhigen besonnenen Haltung der Saarburger Bürger ohne Blutvergießen verlief. Am Sonntag, den 21. November 1923, nachmittags 4 Uhr, kam mit dem Regiezuge, also mit Zustimmung der Franzosen, eine bewaffnete Bande von Trier auf dem Bahnhof Beurig an und marschierte in die Stadt Saarburg ein. Sie wollten eine große Volksversammlung auf dem Fruchtmarkt halten, mußten dieselbe aber wegen des schlechten Wetters in das Hotel Salm (Hild) verlegen. Da die Bevölkerung sich ablehnend verhielt und der Versammlung größtenteils fernblieb, so versuchte der Anführer Holl (ein verdorbener Student, der zwei Semester Theologie studiert hatte) von der Haustüre des Hotels aus Reden über die Straße zu halten, die mit Gelächter beantwortet wurden. Um 11 Uhr abends erklärte Holl in einer Ansprache, "im Kreise seiner politischen Freunde", daß im Kreise Saarburg die rheinische Republik proklamiert sei. Er ließ darauf das Postamt und das Landratsamt besetzen und starke Patrouillen durch die Stadt ziehen, angeblich, um Plünderungen und Unruhen zu verhüten. Er verkündigte, "daß das Aktionskomitee der Saarseparatisten ihn mit diktatorischen Machtbefugnissen ausgestattet habe."
Am Morgen des 22. November 1923 wurden die ruhigen Bewohner von Saarburg damit überrascht, daß alle Zugänge zur Stadt von bewaffnetem Gesindel, dem sich einige übel beleumundete Saarburger Burschen angeschlossen hatten, besetzt waren. Jeder Vorübergehende wurde belästigt durch die Aufforderung, seinen Paß vorzuzeigen. Die Büros aller Behörden waren besetzt. An der Haustür der Kreissparkasse hatten die Kerle das Schloß herausgesägt. Infolge des mutigen Widerstandes des Kasinomitgliedes, Sparkassendirektors Weidert, gelang es ihnen aber nicht, an die Geldschränke zu kommen und zu plündern.
Zwei heitere Erlebnisse von Kasinomitgliedern sollen der Nachwelt nicht vorenthalten werden:
1. Ein Herr (J. K.) wurde beim Überschreiten der Saarbrücke von einem mit einer Flinte bewaffneten jungen Burschen gestellt und nach seinem Paß gefragt. Als er sich den Mann genauer ansah, stellte er fest, daß es ein junger Arbeiter war, den er bis vor kurzem in seiner Gerberei beschäftigt hatte.
2. Ein geistlicher Herr (Pr. W.) ging wie jeden Morgen am 22. November in aller Frühe nach dem Kreiskrankenhaus, um dort die hl. Messe zu lesen. Kurz vor dem Krankenhause tritt plötzlich hinter einem Baum hervor eine räubermäßig aussehende, bewaffnete Gestalt, hält ihm die Flinte entgegen und verlangt zwar nicht sein Geld, sondern nur - seinen Paß.
Diese sehr belästigende Komödie auf den Straßen dauerte bis Freitag, den 26. November, wo die bewaffnete Schar still abzog. Holl blieb im Landratsamt 12 Tage. Vor seinem Weggang am 3. Dezember setzte er in das Landratsamt einen gewissen Gärtner aus Oberleuken "als Vertreter des Direktoriums der Rheinischen Republik für den Kreis  Saarburg". Dieser saß noch drei Wochen in einem Zimmer des Landratsamtes, wo sich niemand um ihn kümmerte. Dann wurde ihm in aller Güte klar gemacht, daß er doch eigentlich überflüssig sei, worauf auch er verduftete.
Wegen der kurzen Dauer dieses Putsches und wegen der friedfertigen Haltung der Bevölkerung blieb glücklicherweise das Kasino und dessen Keller unentdeckt von der Bande.
(aus:100 Jahre Casinogesellschaft Saarburg, Trier 1930, S. 75f)

  1. Wie beurteilt der Schreiber die Separatisten und die ganze Separatistenbewegung?

  2. Warum sahen die Franzosen dennoch eine Chance das linksrheinische Gebiet einzuverleiben? Berücksichtige hierzu auch 1815!