23. ANTISEMITISMUS MITTE DER 30ER JAHRE              Teil 1 

Antisemitismus im ländlichen Alltag um Saarburg 

zu Teil 2

Q. 1: Antrag zu einer Gemeinderatssitzung:

Orscholz, den 15. Juli 1935
Antrag zur Vorlage in der nächsten Gemeinderatssitzung sämtlicher der Bürgermeistereien Freudenburg-Orscholz. Aufgrund der immer noch mangelnden Erkenntnis großer Bevölkerungskreise der beiden Bürgermeistereien, dass das Judentum Schuldträger der Nöten unseres Vaterlandes und der größte Gegner unseres Führers und damit Gegner des Nationalsozialismus ist und bleiben wird, erbitte ich Beschluss in nachstehender Form.

  1. Kein Jude erhält in Zukunft eine neue Aufenthaltsgenehmigung innerhalb der Gemeinde.

  2. Kein Jude kann innerhalb des Gemeindebezirks ein bebautes oder unbebautes Grundstück erwerben.

  3.  Handwerker und Geschäftsleute sowie jeder Volksgenosse (sofern er Anspruch erhebt, Volksgenosse zu sein) erhalten keine Nutznießungen der Gemeinde oder Gemeindelieferungen, wenn er Verkehr mit Juden pflegt und Handelsgeschäfte mit ihnen betreibt.

  4.  Öffentliche Bekanntgabe, dass Kaufen bei Juden Verrat am Volke ist.

[...] Wir treten hiermit in die Fußstapfen vieler Gemeinden des deutschen Vaterlandes und leisten einen großen Dienst am Volke zum Gedeih des deutschen Vaterlandes.

Heil Hitler!
gez. Dahlmann

aus: Amtsverwaltung Freudenburg-Orscholz - Politische Versammlungen 1932 -1939

Q. 2: Der Beschluss in der Propagandapresse des Nationalblattes

Q. 2 a) "Jüdische Gerissenheit"

Orscholz. Bekanntlich hat die Amtsbürgermeisterei Freudenburg-Orscholz wie so viele andere eine Entschließung gegen die Juden gefasst. Wer nun glaubt, dass daraufhin der Jude in seinen Geschäften weniger emsig in hiesiger Gemeinde ist, der hat sich schwer getäuscht. Blitzen da in voriger Woche nachts um 2 Uhr die Scheinwerfer eines Autos auf, vor dem Haus der Braut eines "deutschen Handwerkers" blendet es ab. Bald stellen wir ein geschäftiges "Hin und Her, aus und ein" fest. Man wagt es nicht, die Hausbeleuchtung einzuschalten. Beim näheren Zusehen entdecken wir auch die Ursache dieser geheimnisvollen Nachtarbeit. Die Möbel dieser zu gründenden Handwerkerfamilie sind bei den Juden gekauft und der saubere Vogel liefert diese des Nachts. Wir fragen uns nur, was wird der Handwerker dazu sagen, wenn wir unsere Aufträge den Juden statt ihm übergeben? In der gleichen Nacht wandert noch ein Kinderbettchen in das Haus eines SA-Mannes. Hoffentlich wird der Sprössling um so mehr vom wahren, deutschen, völkischen Geist durchdrungen sein.

aus: Trierer Nationalblatt vom 10./11.08.1935

Q. 2b) "Jüdische Gerissenheit"

Orscholz. In Nr.185 vom 9.8.1935 unter "Jüdischer Gerissenheit" war zum Schluss die Rede von einem SA-Mann, der in derselben Nacht auch ein Kinderbettchen geliefert erhielt. Nach Rücksprache mit den verantwortlichen Stellen sei unsere Meldung dahin gehend berichtigt, dass es sich in besagtem Falle nicht um einen aktiven SA-Mann handelt, sondern um einen längst ausgeschiedenen SA-Anwärter.

aus: Trierer Nationalblatt vom 16.08.1935

Q. 3:      Verschiedene Aktenvermerke aus späteren Jahren belegen vergleichbare Tatsachen:

Es ist hier bekannt geworden, dass der Bauer N.B., welcher Gemeinderatsmitglied in Freudenburg ist, mit Juden gehandelt haben soll.

Freudenburg, den 26.Oktober 1937
Der Amtsbürgermeister: 
gez. Jahn

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Gelegentlich einer Dienstreise nach Eft-Hellendorf am 19.11.1937 wurde mir mitgeteilt, dass die beiden Gemeindebeigeordneten:

  1. R.E. in Hellendorf (Ortsbauernführer)

  2. G.P. in Eft

noch mit Juden Viehhandel trieben.

Sofern dies zutrifft, müssen die Vorgenannten aus ihrem Amt entfernt werden, weil dieselben dann die Voraussetzungen der deutschen Gemeindeordnung nicht mehr erfüllen.

Freudenburg, den 22.November 1937
gez. Jahn

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Borg, den 06.12.1937

Wie festgestellt hat R.E. in Hellendorf vor einiger Zeit und vor 4 Wochen ein Pferd an den Juden Karl Hayum in Nennig-Wiess verkauft. Andere Verkäufe zwischen den Juden und R. sind nicht bekannt.

G.P. in Eft hat in letzter Zeit soweit sich feststellen ließ keine Verkäufe an Juden getätigt. Ende 1936 oder direkt Anfang 1937 hat G. 2 Pferde an den Juden Kahn in Kirf verkauft. Vor einigen Wochen verkaufte G. ein Pferd an den Pferdehändler M. aus Bitburg angeblich Trier. Bei diesem Kauf war außer dem Händler H. aus Saarburg auch der Jude Kahn wieder zugegen.

Inwieweit Kahn an dem Handel beteiligt oder überhaupt beteiligt gewesen ist, war nicht zu ermitteln. Dass G. noch weiteres Vieh seit der Machtübernahme der N.S.D.A.P. verkauft hat, ist nicht festgestellt.

gez. Wiechen 
Gend. Meister

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Freudenburg, den 16.Dezember 1937

[...] Wenn selbst die Ortsbauernführer mit Juden Viehhandel treiben, ist es nicht zu verwundern, wenn noch in vielen Gemeinden der Handel mit Juden in Blüte steht. Ich bitte um geeignet erscheinende weitere Veranlassungen.

Heil Hitler! 
gez. Jahn

Aufgaben:

1.      Welche Maßnahmen führte die Gemeinde Orscholz gegen die jüdische Bevölkerung im Ort durch?

2.      Überprüfe, ob die Gemeinde auf Anweisung oder auf Vorgabe der Reichsführung handelte!

3.      Untersuche die Zeitungsberichte unter inhaltlichen und formalen Gesichtspunkten!

4.      Welche Verhaltensweisen zeigte die Zivilbevölkerung? Erkläre!

5.      Erstelle eine Zusammenfassung: Wie erlebte die jüdische Bevölkerung die Jahre ab 1933?

6.      Welche Möglichkeiten zu reagieren blieb der jüdische Bevölkerung dieser Zeit allenfalls?

zu Teil 2

 Sachtext zur Erläuterung:

Im Ort Freudenburg lebten 1935  54 Personen jüdischer Abstammung in insgesamt 17 Familien. Die Zahl der Wahlberechtigten betrug 1933 787 Personen, die Zahl der Arbeitslosen noch im November 1936 155. Die jüdische Bevölkerung lebte überwiegend vom Kleinhandel (Vieh, Haushaltswaren, sonstige Kleinwaren). In dieser Funktion waren die Juden kaum ersetzbar, wie die Quellen belegen. Entgegen allen Anweisungen werden doch Rechtsgeschäfte zwischen Deutschen und jüdischer Bevölkerung getätigt.

Zum Jahresbeginn 1936 sind in Freudenburg bereits nur noch 36 Juden registriert, im Oktober 1938 sind es offiziell nur noch zehn. Vor allem das benachbarte Ausland, nämlich Frankreich und Luxemburg, wird zur neuen Heimat der Juden in Freudenburg. Diese neue Heimat sollte bald jedoch auch keinen Schutz mehr gewähren können. Insgesamt 27 Juden, die 1933 in Freudenburg lebten, kamen in Konzentrationslagern ums Leben, die meisten in Auschwitz und Theresienstadt.

Lit.: G. Heidt / D.S. Lennartz: "Fast vergessene Zeugen. Juden in Freudenburg und im Saar-Mosel-Gebiet 1321-1943". (Freudenburg-Trier 2000).- 
O. Nieß, Alltag im Nationalsozialismus: Unterrichtsvorbereitung aus dem Computer, München: Park Körner 1997.-https://www.park-koerner.de/