19. Der 1. Weltkrieg im Spiegel der Schulchronik der Anna
Buch
Teil 3
![]() |
zu Teil 1 zu Teil 2 |
Text 5
So stellte sich die Tabener Gemeinde in den Dienst der Nächstenliebe, nach Kräften durch Geldmittel und Spenden Hilfe leistend. Doch auch an anderen Gelegenheiten, echte Vaterlandsliebe zu beweisen, sollte es nicht fehlen. Der Ruf: „Alles Gold dem Vaterlande", der durch Deutschlands Gauen schallte, fand auch hier Wiederhall und so manches Goldfüchschen wird wohl den Weg zur Reichsbank gefunden haben. [...] Bei der ungeheuren Bedeutung, die die Erhöhung des Goldbestandes der Reichsbank für das wirtschaftliche Wohl und den Sieg des Vaterlandes hatte, erging von der Regierung die Aufforderung an die Bevölkerung, alte zwecklose Goldschmucksachen dem Vaterland zu opfern. Der Erlös sollte den Hinterbliebenen der im Krieg Gefallenen zu gute kommen. Die Sammlung wurde [...] in den Dörfern Taben, Hamm, Rodt mit überraschend großem Erfolg von dem Frl. Lehrerin Buch im Sommer 1915 abgehalten. [...]
Die 612 Einwohner zählende Gemeinde Taben-Rodt, an der Westgrenze des deutschen Reiches gelegen, so nahe dem alten Erbfeinde, hatte im Kriegsfalle eine nicht gerade beneidenswerte Sorge. War die Gefahr doch sehr groß, dass die Franzosen in unsere friedliche Gegend, wenn auch nur vorübergehend einbrechen. [...] Sofort nach Ausbruch des Krieges wurden darum Schutzmaßnahmen für unser Dorf getroffen, die in der Bewachung der Brücke, des Bahnhofs, der Bahnstrecke und der öffentlichen Wege bestanden. Durch Baumstämme wurde der nach Mettlach führende Kaiserweg abgesperrt und des Nachts wie auch alle anderen Zugänge zum Ort durch die Polizeidiener und andere vom Ortsvorsteher bestimmte Männer bewacht. Herr Hegemeister Westram erhielt vom Landratsamt zu Saarburg den Auftrag, sein Forstrevier täglich nach verdächtigen Personen zu durchstreifen. [...]Diese strengen, dem Kriege angepaßten Maßnahmen mögen wohl von vielen als in Taben unnötig, als übertrieben belacht worden sein. In Wirklichkeit zeigte sich nur zu bald, wie notwendig sie waren. An der Bahnböschung wurde nämlich am 3. August ein recht verkommen aussehender Mensch, der Karten in verschiedenen Sprachen bei sich führte, der Spionage verdächtig, von Soldaten aufgegriffen und nach dem Bürgermeisteramt nach Freudenburg geführt. Außerdem wurde ein Spion, der sich als Spielmann verkleidet hatte, im Dorfe Rodt festgenommen. [...]
Zur Verschwiegenheit unbekannten Personen gegenüber wurde besonders hingewiesen. Auch die Post stand in den ersten Kriegsmonaten unter strenger militärischer Kontrolle. Nur geöffnete Briefe durften befördert werden, deren Bestellung sich oft verzögerte. [...] Unter anderem verordnete der kommandierende General des 8. Armeecorps, der während des Krieges in hiesiger Gegend die vollziehende Gewalt ausübte, dass alle Telefone dem Privatverkehr zu entziehen seien. Ferner wurde das Tragen von Waffen allen Zivilpersonen verboten und der Verkauf von Pferden untersagt. 10 Pferde der Gemeinde Taben-Rodt wurden von der Militärverwaltung zum Heeresdienst angekauft. Die Einnahmen der Gemeindekasse wurden durch Einberufung steuerpflichtiger Ortseingesessener geringer. Die Ausgaben der Gemeinde steigerten sich besonders durch Auszahlung der Kriegsunterstützungen bedeutend. Eine monatliche Unterstützung erhielten die Angehörigen der ins Feld gezogenen Soldaten, die Ehefrauen, Kinder und sonstige Verwandte, die von dem Einberufenen ernährt wurden. In Taben-Rodt kamen hierfür 24 Familien in Betracht; 16 Ehefrauen, von denen jede monatlich 15 M erhielt, während als Kriegsbeihilfe für andere Familienmitglieder 7,50 M ausgezahlt wurde. Aus besonderer Bedürftigkeit erhielt eine Familie außer der genannten Unterstützung noch ihr zustehendes Brot. In den ersten Kriegsmonaten änderten sich die Lebensmittelpreise nur wenig. Es entstand zwar in den ersten Kriegswochen ein großer Andrang in den Kolonialwarenläden, da viele möglichst reichlich einkaufen wollten, um im Falle einer Teuerung und Hungersnot, die sie in Gedanken mit dem Worte „Krieg" verbanden, nicht zu kurz zu kommen. Doch infolge der für uns so günstigen Kriegsereignisse traten wieder bald ruhige normale Verhältnisse ein.
Die in jeder Familie aufbewahrten Vorräte und Mehl wurden am 9.Mai aufgeschrieben, ferner der Vorverkauf an Öl und Hülsenfrüchten der Ernte 1915 am 22. Juni verboten. Vom 1. - 6. Juli fand die Aufnahme der Erntefläche jedes Grundbesitzes durch den Ortsvorsteher Herrn Neuses aus Taben statt unter Angabe der angepflanzten Getreidearten und Kartoffeln. Der Bauer, der sich bis dahin als freier Herr seines Grund und Bodens gefühlt, der unbeschränkt über die Erzeugnisse seiner Scholle, die er sich mit Mühe und Schweiß erworben, schalten und walten konnte, wußte sich nur langsam und schwer in die scharfen Maßnahmen der Behörden zu finden.
Eine Verordnung des Reichskanzlers vom 4. Oktober (1916) bestimmte für die Zeit vom 15. Oktober bis 15. August 1917 für den Tag und Kopf: a) auf den Nichterzeuger und die Angehörigen ihrer Wirtschaft 11/2 Pfd., b) auf alle Nichterzeuger 1 Pfd. Kartoffeln. Der Höchstpreis für 1 Ztr. Kartoffeln war vom 1. Okt. 1916 ab auf 4 M festgesetzt worden. Noch schärfer wurde jedoch auf die allgemeine Herabsetzung der Speisekartoffelmenge auf den Kopf der Bevölkerung am 19. November als das Kriegsernährungsamt den vollen Umfang der Mißernte und die damit verbundenen (S. 78) Gefahren erkannte. [...] Wer mehr Kartoffeln eingeerntet hatte, als ihm zustand, mußte den Überschuß herausgeben. Das fiel manchen Landwirten bitter schwer, glaubten sie doch selbst mit ihrer Familie Hunger leiden zu müssen. Um dem vorzubeugen, versteckten viele an verborgenen Plätzen Kartoffeln, um sie den spähenden Augen der den Bestand aufnehmenden Behörde zu entziehen. Diese rücksichtslose Hineinmischung des Staates in den Wirtschaftsbetrieb des Landmannes, der sich schon bedrückt fühlte, war ein Gesetz der Notwendigkeit, um die mit der Herstellung von Geschützen und Munition beschäftigten Industriearbeiter mit diesem wichtigen Nahrungsmittel zu versehen. [...]
Obwohl die Kämpfe im 1. Weltkrieg nicht in Deutschland ausgetragen wurden, sondern auf auswärtigem Gebiet, ist das Binnenland trotzdem „Heimatfront". Erläutere!
Der sachliche Ton der Berichterstatterin wird an einigen Stellen gereizter. Finde sie heraus und versuche diesen Stimmungswandel zu erklären!
Text 6
Selten ist ein Volk von der Höhe seiner Triumphe in den Abgrund tiefer Verzweiflung gestürzt worden wie das deutsche. Wie begeistert schlug jedes Herz am 5. März 1918, als dem geschmettert am Boden liegenden Russland ein Frieden nach deutschem Willen diktiert werden konnte. Voll stolzem Siegesbewußtsein glaubten wir, der Krieg sei gewonnen. [...] Der Oktober und November waren Monate größter Spannung und qualvollster Erwartung. Durch das Friedensangebot, das der damalige Reichskanzler, Prinz Max von Baden, an Wilson, den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika am 5. Oktober 18 sandte, gingen dem deutschen Volk die Augen auf, und es wurde ihm entsetzlich klar, dass wir, die Sieger in tausend Schlachten, deren Truppen weit in Feindesland standen, den Krieg verloren hatten.
Am 11. November war der denkwürdige Tag, an dem nach beinahe 4 1/2 -jährigem blutigstem Ringen um 11 1/2 Uhr vormittags auf der ganzen Welt die Waffen ruhten.
Der Ausgang des 1. Weltkrieges brachte für die deutsche Bevölkerung ein böses Erwachen. Arbeite das Überraschende an dieser Textstelle heraus!
Überlege, warum die Deutschen am Ende des 2. Weltkrieges vom Ausgang des Krieges nicht überrascht wurden!
Konnte die sogenannte Dolchstoßlegende bei der Taben-Rodter Bevölkerung Glauben finden?