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Günther Schulz (Hrsg.)
Ordnung und Chaos. Trends und Brüche in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte:
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte – Beihefte.
Band 243, 2019.
(264 S., ISBN 978-3-515-12322-8)
52,- €
Der vorliegende Band „Ordnung und Chaos. Trends und Brüche in der Wirtschafts-
und Sozialgeschichte“ ist in der Reihe der „Vierteljahrschrift für Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte“ erschienen. Der von Günther Schulz als Herausgeber
verantwortete Band enthält zwölf Beiträge von insgesamt 57 der 26. Arbeitstagung
der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die vom 11. bis 14. März
2015 in Münster tagte. Diese Beiträge gehörten alle zum gemeinsamen obigen Thema
„Ordnung und Chaos“. Thematisch bedeutete dies, zu untersuchen, inwieweit bei
neuen Trends in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, insbesondere bei
eklatanten Brüchen in der Entwicklung, Prozesse der Wirtschafts-, Sozial- und
Allgemeingeschichte noch Ordnungsprinzipien und folglich geordnete neue
Entwicklungen zulassen, oder ob unter anderem bei schlagartigen Veränderungen im
historischen Ablauf eher chaotische Entwicklungen folgen.
Die Beiträge im Band beginnen mit der Waisenfürsorge in der vorindustriellen
Geschichte, stellen die ökonomischen Folgen der polnischen Teilungen und die
Hamburger Spekulationsblase von 1799 dar, setzen sich mit der demographischen
Entwicklung am Beispiel Badens im 19. Jahrhundert, dem Übergang zum Goldstandard
nach 1870 und dem Investorenschutz in Deutschland von 1870 bis 1937 auseinander,
behandeln die Bedeutung von Patenten als Beleg der Persistenz unternehmerischer
Strukturen gegenüber Schumpeters Theorie der „schöpferischen Zerstörung“ und die
Anwendung des Konzepts der „Limited and Open Access Order“ im Hinblick auf die
Entwicklung Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert. Die übrigen Beiträge sind
dem 20. Jahrhundert gewidmet, nämlich der unterschiedlichen Entwicklung von
Gewerkschaftsstrategien nach dem Zweiten Weltkrieg, der Auseinandersetzung
zwischen internationalen Ordnungsvorstellungen und schweizerischem Steuerrecht,
der betrieblichen Sozialpolitik in der Nachkriegszeit und der Rohstoffpolitik im
Rahmen einer neuen Weltwirtschaftsordnung seit 1970. Günter Schulz formulierte
zu allen Beiträgen eine kurze Zusammenfassung, die dem Band vorangestellt wurde.
Der Herausgeber stand bereits während der Tagung der Presse Rede und Antwort und
beschrieb den Wert der Tagung im interdisziplinären Austausch (Deutschlandfunk
19.03.2015): „Wir wollen eben auch der Öffentlichkeit vermitteln, dass die
Kombination von spezifisch ökonomischen und spezifisch historischen Ansätzen
produktiv, weiterführend ist.“ Tatsächlich öffnet der jetzt vorliegende
Sammelband den Blick auf die Erschließung bisher weniger genutzter Quellen, etwa
der dänischen Sundzollregister für den Handel im Ostseeraum oder zu neuen
Ansätzen in der Auswertung von z.B. den Medizinaltabellen aus dem Großherzogtum
Baden für eine statistisch abgesicherte demographische Darstellung der
Bevölkerungsentwicklung im 19. Jahrhundert. Bekannter dagegen ist der Versuch
der Vergleichbarkeit ökonomischer Prozesse, wenn bereits bei der
Spekulationskrise 1799 einige Hamburger Kaufleute durch Maßnahmen der Hansestadt
vor den Folgen ihrer Fehlspekulationen geschützt wurden, weil sie »too big to
fail« waren.
Der Tagungsband bietet eine gelungene Mischung verschiedener zeitlicher und
thematischer Ansätze aus dem Spektrum der Wirtschaftsgeschichte und gibt der
interessierten Öffentlichkeit einen Überblick über die verschiedenen
Forschungsebenen in diesem Fachgebiet. Nahe liegender Weise fällt in den
Beiträgen manche Darstellung etwas knapp aus. So stellt Ute Engelen auf acht
Seiten die Sozialpolitik deutscher und französischer Automobilhersteller dar.
Ihr zugrunde zu legendes Werk »Demokratisierung der betrieblichen
Sozialpolitik?« umfasst rund 500 Seiten. Auch Marcel Boldorfs These der
unterschiedlichen Entwicklung zu Konflikt- oder Konsensmodellen der
Gewerkschaften in Europa gegenüber den Arbeitgebern aufgrund der je spezifischen
Situation der einzelnen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg wird knapp
beschrieben. Seine Darstellung der Zusammenarbeit von vorwiegend alten und
NS-belasteten Unternehmenseliten mit den Nachkriegsregierungen in den
(west-)deutschen Ländern einerseits und der später folgenden Zurückweisung von
Sozialisierungstendenzen durch die Gewerkschaften in der Bundesrepublik zeigt
einen spannungsreichen Komplex auf. Angesichts der Tragweite der Thesen wünscht
man dem Autor Raum für eine umfassendere Darstellung.
Otmar Nieß, Trier
(gekürzt erschienen in der gfh 4/2020)
Auf dieser Homepage: Gedichtinterpretationen von Karl Heinz Weiers